Auswirkungen der COVID-Pandemie auf die Sozialversicherungen
Bei der Beurteilung der Auswirkungen der COVID-Pandemie auf die Sozialversicherungssysteme, insbesondere die Pensionskassen der Schweiz, sind nicht nur die Auswirkungen an den Anlagemärkten zu betrachten. Dies wäre zu kurzgefasst. Gesamtwirtschaftliche und demografische Entwicklungen können ebenso entsprechende Einflüsse auf die Finanzierung und die Leistungen der einzelnen Sozialversicherungswerke haben. Nebst den Auswirkungen der Vermögensanlagen versuchen wir eine grobe Auslegeordnung zu den anderen, wesentlichen Einflussfaktoren und deren möglichen Folgen auf die 1. Säule, und im Speziellen auf die 2. Säule zu machen.
Die Anlagemärkte in den ersten 7 Monaten
Die einzelnen Pensionskassen können aufgrund ihres definierten Risikobudgets unterschiedlich aggressive Anlagestrategien definieren. Je besser die Struktur der Kasse, umso grösser ist der mögliche Spielraum für die Organe, Risiken bei der Festsetzung der Anlagestrategie einzugehen und dadurch grössere Schwankungen in der Anlageperfomance zu erdulden. Für die Beurteilung der möglichen Resultate der Pensionskassen während der Pandemie eignen sich die publizierten Pictet BVG-Indizes. Die Pictet BVG Indizesbilden unter Berücksichtigung der BVV 2 Anlagevorschriften gemischte Portfolios mit unterschiedlichem Aktienanteil vor den Vermögensverwaltungskosten ab. Die Resultate der einzelnen Indizes per Ende Juli 2020 zeigen, dass die Pensionskassen zwar im ersten Quartal einen massiven Verlust auf den Anlagen hinnehmen mussten, diese Verluste bis Ende Juli aber beinahe wettgemacht haben. Dies verdeutlicht folgende Übersicht:
Nichtsdestotrotz haben die Pensionskassen in erster Linie Zinsverpflichtungen von Aktiven (gemäss Vorschlag BVG-Kommission 0.75%), Rentnern (bei den meisten Kassen zwischen 1.25% und 2.5%) und oftmals auch zu hohe Lebenserwartungen zu finanzieren. Es zeichnet sich also für das Jahr 2020 trotzdem eine gesamthaft negative Situation ab.
Auswirkungen auf die Finanzierung und die Leistungen im Allgemeinen
Analysiert man die Todesfälle Schweizer Bevölkerung der letzten 5 Jahre, stellt man in der Altersgruppe 65+ zeitweise eine erhöhte Sterblichkeit fest, während bei den Jungen (65-) kaum statistische Abweichungen festzustellen sind. Während im Jahr 2020 die covid-19 Pandemie diese hohe Sterblichkeit begründet, ist dies in den Jahren 2015 + 2017 die jeweils starke saisonale Grippewelle. Die Erfahrungen der ersten Welle der covid-Infektionen, insbesondere die Anzahl der Todesfälle, führen aber trotz der Übersterblichkeit nicht zu einer dauerhaften Reduktion der Rentenzahlungen und somit für die Rentenversicherungen überraschenderweise kaum zur Reduktion der Ausgaben. Allenfalls führt die Übersterblichkeit im Jahr 2020 zu einem marginalen technischen Gewinn, welcher jedoch in der Struktur der Kassen nicht oder kaum zu spüren sein wird.
Bleibt nun im Bereich der Leistungen für die AHV alles beim Alten? Betrachtet man die Einflüsse von Covid, kann diese Frage grundsätzlich mit ja beantwortet werden. Aber die demografische Entwicklung bleibt das Problem: Der Renteneintritt der «Babyboomer» Jahrgänge folgt in den nächsten Jahren und wird das Umlageresultat der AHV stark belasten.
Noch kaum abschätzbar sind die Covid-Auswirkungen auf die Invalidenversicherung. Tendenziell rechnen Experten mit einer durch die Pandemie höheren Anzahl längerer Arbeitsunfähigkeiten und nachgelagerten Erwerbsunfähigkeitseffekten. Diese Effekte werden aber erst langfristig abschliessend zu beurteilen sein und zeigen uns erste Trends an.
Am stärksten sind wie erwartet die kurzfristigen Auswirkungen auf die ALV, auch wenn die Kurzarbeitsentschädigungen ebenfalls versicherten Lohn darstellen und die Kasse quasi mit sich selber wieder entlasten. Bislang wurden für schätzungsweise 2.0 Mio. Arbeitnehmer Anträge auf Kurzarbeit eingereicht. Die Finanzkrise war demgegenüber mit unter 100’000 Anträgen vergleichsweise gering. Zudem erwarten die Experten als Folge der Pandemie eine steigende Arbeitslosenquote, welche das Sozialwerk zusätzlich belastet. Generell kommt hinzu, dass in den Versicherungswerken der ersten Säule ebenfalls negative Performanceergebnisse erwartet werden müssen und diese im Jahr 2020 keine Beiträge an die Finanzierung der Leistungen beisteuern kann.
Und auf die 2. Säule im Speziellen
Aufgrund der nach wie vor hohen Volatilität in den Anlagemärkten ist generell für das Jahr 2020 mit tiefen Anlagerenditen und somit mit tieferen Verzinsungen der Sparkapitalien als im Jahr 2019 zu rechnen. Zu diesem Ergebnis führen auch die bei den Kassen mittlerweile weit verbreiteten Beteiligungsmodelle, welche den verantwortlichen Organen keinen Spielraum für Besserverzinsungen lassen werden.
Wie erwähnt ist der Effekt der Übersterblichkeit gering und ein allfällig kurzfristiger technischer Gewinn wird durch eine mittelfristige Untersterblichkeit korrigiert werden. Von diesem Szenario kann zuverlässig ausgegangen werden, sofern die aktuelle Pandemie nicht zu massiv höheren Todesfällen führen wird oder regelmässige Pandemien auftreten.
Bei den Auswirkungen für die Kassen ist generell zwischen kurz- und langfristigen Effekten zu unterscheiden. Kurzfristig ist die Unsicherheit bezüglich der Beitragszahlung und das Ausfallrisiko der Beiträge der angeschlossenen Firmen zu beachten, dieses Risiko ist im Zuge der Pandemie bereits spürbar. Zudem fehlen durch den partiellen, zeitweiligen Mietzinsausfall bei Geschäftsliegenschaften Einnahmen, welche die Renditeaussichten trüben. Langfristig, und verursacht durch den gesamtwirtschaftlichen oder den branchenbedingten Schaden, werden sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei Leistungsverbesserungen und Kompensationen der Leistungseinbussen (beispielsweise durch tiefe Verzinsungen oder Umwandlungssatzsenkungen) wohl eher zurückhaltend zeigen. Schlussendlich müssen sich Pensionskassen darauf einstellen, dass aufgrund der wirtschaftlichen Rezession das Renditepotenzial des Vorsorgevermögens weiter sinken wird.
Zusammenfassung
In der aktuellen Krise haben sich die Pensionskassen als stabil erwiesen und bieten einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung der Vorsorgesysteme. Die Deckungsgrade befinden sich auch dank der guten letzten Anlagejahre generell immer noch auf einem hohen Niveau und ein Grossteil der Kassen befindet sich weiterhin in Überdeckung. Die Gefahr von Sanierungen und Teilliquidationen in Unterdeckung ist momentan als gering einzustufen.
Die Herausforderungen der 2. Säule haben sich aufgrund der Pandemie nicht verändert. Auch wenn im März 2020 die Verfallsrenditen der risikolosen Bundesobligationen leicht gestiegen sind, befinden wir uns immer noch in einem für die 2. Säule schädlichen Zinsumfeld. Die Umverteilung zwischen den Generationen ist vor allem wegen den gesetzlich zu hoch versprochenen Leistungen nach wie vor gigantisch und das System bleibt unter Druck. Die Hauptgefahr aus der Pandemie für die 2. Säule besteht darin, dass die dringenden Reformen wegen dem fehlenden Fokus politisch verschleppt werden. Dies gilt es, dringend zu vermeiden.